2. Vers

Wenn ich sage: "nennen wir schönes schön, ist es darum nicht schön" etc. so gibt es Interpreten, die es dahin auslegen etwas schön zu nennen sei unschön, etwas gut zu nennen, sei ungut. Ich möchte nicht moralisieren, denke auch, Laozi lag das fern. Schönes schön zu finden ist wohl nicht verwerflich, aber darin bedingt, dass wir anderes nicht schön finden. Auch in den folgenden Sätzen zeigt uns der zweite Vers die gegenseitige Relativierung, geht es um die Bedingung der Erscheinungen. Das Gesetz von Yin und Yang wird angesprochen. 
Interessant wird es, was Im Text daraus gefolgert wird: Daher kann der Weise (shengren 聖人, ein Mensch, der Ohr und Mund beherrscht) wandeln ohne zu handeln... weil er sich das Gesetz zu eigen macht, weil er die Erscheinungen und Ereignisse aus sich selbst, aus ihrer gegenseitigen Bedingtheit zulässt, weil es aus sich heraus entsteht und vergeht. So folgt der Weise den Regeln des Himmels, den natürlichen Gegebenheiten. Wie in der Natur die Dinge kommen und gehen, gezeugt werden, eine Weile sind und nichts bewahrt wird, nichts bleibt, sondern wieder verschwindet im Dunkel, so hält auch er an nichts fest, versucht nichts zu halten, da es doch auf natürliche Weise kommt und geht. Andauernd, ohne Ende, vollendet sich die Schöpfung, in jedem Augenblick. Weil es nicht verweilt, weilt es endlos. 
Mit diesem Schluss schließt Laozi wieder den Kreis, kehrt an den Anfang des Verses zurück, zum ewigen sich gegenseitig hervorbringenden "Schönen" und auf uns zurückgeworfenen Bewerten. Wenn wir nichts bewerten, wollen wir auch nichts halten. 

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